Heimweh
Teil 2
 
Fabian wurde vom Tageslicht geweckt, das durch das kleine Fenster neben der Tür in die Hütte fiel. Und von einer Bewegung im Etagenbett. Patrick war ebenfalls wach und schien aufzustehen, obwohl ansonsten noch alles still war. Aus Dans Bett drang tiefes, gleichmäßiges Atmen herüber, fast an der Grenze zum Schnarchen. Auch Julio und Mike schliefen wohl noch.
Patricks Kopf tauchte an Fabians Bettkante auf, und irgendwie instinktiv schloss Fabian die Augen und gab vor, noch zu schlafen. Patrick beobachtete dies eine ganze Weile, vielleicht weil er kurz vorher noch eine Bewegung vernommen hatte und nicht so recht glaubte, dass Fabian noch schlief. Aber dann schien er überzeugt zu sein und schlich auf Socken zu dem Stuhl, an dem seine Sachen hingen und unter dem sein Rucksack stand. Er hielt dort inne und schaute noch einmal zu Fabian hinüber, der bis auf winzige Schlitze seine Augen geschlossen hielt und die typischen langsamen Atemzüge beim Schlafen nachmachte.
Dann zog Patrick Unterhemd und Unterhose und seine Socken aus und stopfte die getragenen Sachen in seinen Rucksack. Und so konnte ihn Fabian für einige flüchtige Augenblicke in seiner ganzen rosigen Blässe beobachten, von Kopf bis Fuß. Patrick nahm sich frische Unterwäsche und Socken aus seinem Rucksack und tapste auf nackten Füßen zurück zum Bett. Fabian musste dabei die Augen richtig zumachen, sonst wäre der Schwindel aufgeflogen, und so konnte er Patricks ganze Schönheit nicht von vorne sehen.
Schade, dachte sich Fabian und mimte weiter den Schlafenden.
Patrick zog sich die Unterwäsche und die Socken an und legte sich so zurück ins Bett.
Fabian wurde klar: Sein rotblonder, sommersprossiger Bettnachbar hatte von seiner Mutter gesagt bekommen, auch ja jeden Tag saubere Unterwäsche anzuziehen, aber er schämte sich, dies vor den Anderen zu tun.
Er hatte gar keinen Grund dazu, fand Fabian.

Einige Zeit später, aber immer noch viel zu früh, platzte Brian herein und rief: "Guten Morgen! Es ist ein herrlicher Tag, Zeit zum Aufstehen! Denkt daran, ihr seid Biber und keine Murmeltiere!" Er wartete ab, dass sich in den Betten etwas rührte. Dann klatschte er in die Hände, um dem Ganzen etwas nachzuhelfen. "Aufstehen, faule Bande! Geht in den Waschraum und schrubbt eure Knochen, wir sehen uns beim Frühstück!" Erst als sich die Ersten grummelnd in ihren Betten aufsetzten, gab sich Brian zufrieden und zog weiter zur nächsten Hütte.
Die Jungs ließen sich prompt wieder zurück in die Kissen fallen und dösten noch ein bisschen weiter.
Dann war es der pummelige, mädchenhafte Julio, der als Erster aus dem Bett hüpfte und sich Shorts und Schuhe anzog und dann mit Handtuch und Seife hinausging zum Waschraum. Es folgte ihm Mike, der anscheinend nicht allein gehen wollte.
Dann rührten sich schließlich auch die beiden "Großen", Dan und Fabian. Mit dem Kommentar: "Mann, ich muss pinkeln!" schlurfte Dan Richtung Toilette.
Fabian schaute hinunter in Patricks Bett. "Morgen, Paddy!" sagte er und lächelte.
Patrick blieb liegen und blinzelte nur und murmelte: "Morgen!"
Fabian beugte sich hinunter zu seinem Rucksack, der am Kopfende des Bettes auf dem Fußboden stand. Er öffnete den Reißverschluss und sagte: "Au weia! Schau mal, meine Mutter hat mir acht frische Unterhosen eingepackt. Eine für jeden Tag, und sogar eine zuviel. Meinst du, sie merkt es, wenn ich die gar nicht benutze?"

"Au weia! Schau mal!"

Patrick hob den Kopf und schaute scheinbar desinteressiert auf den Stapel Unterhosen. Dann sagte er: "Ich glaub schon, dass sie es merkt!"
"Aber wenn ich sie alle einmal zusammenknülle..."
"Nein, das merkt sie."
Fabian schaute, als würde er sich schämen. "Dann muss ich wohl, was?"
Patrick hob die Schultern, als wäre es ihm egal.
Fabian zog die Unterhose aus und eine frische wieder an und das alles ziemlich nah vor Patricks Nase. Dann zog er eine kurze Jeans darüber und griff sich seine Turnschuhe. "Kommst du mit in den Waschraum?"
Patrick schaute ertappt. Für eine Weile sah er aus, als wollte er darauf gar nichts sagen und sich auch nicht aus seinem Bett rühren. Wollte er sich etwa ungewaschen durch die ganze Woche mogeln? Welch ein kleiner Heuchler, die Unterwäsche wechselte er seiner Mom zuliebe, aber in den Waschraum traute er sich nicht.
"Na, lass es gut sein", winkte Fabian ab und legte sich sein Handtuch um den Hals.
Weder der Waschraum noch gar die Toiletten waren angenehme Orte. An beiden ging es tumultartig durcheinander. Im Waschraum wurde man schon nassgespritzt, bevor man überhaupt einen freien Wasserhahn ergattert hatte. Fabian fand schließlich einen Platz neben Ryan, dem blonden Kumpan mit der Zahnklammer. "Hi!" begrüßten sie sich.
"Das war was, heute nacht, was?" schrie Ryan, um das andere Geschrei zu übertönen.
"Wieso? Was war denn?" fragte Fabian.
"Eh, wir haben versucht, bei den Mädchen Wasserbomben ins Bett zu werfen." Ryan grinste und seifte sich die Arme ein.
"Und? Hat das geklappt?" Fabian erinnerte sich an den Lärm in der Nacht.
"Klar! Also mindestens bei zweien hat das gesessen! Volltreffer, sag ich dir!" Ryan spülte sich spritzend mit kaltem Wasser ab. "Aber dann sind Hank und dieser andere Willy gekommen und haben Terror gemacht."
Auf dem Rückweg zur Hütte sah Fabian, dass Jemand den staubigen Platz vor dem Hauptgebäude mit einem Besen kehrte. Wenn ihn nicht alles täuschte, war das Angelo.

Nach dem Frühstück erläuterte Brian mit seinen Bibern, dass sie heute vorhätten, mit zwei großen Kanus quer über den ganzen See zu paddeln. Zur Sicherheit bekämen alle eine kleine Schwimmweste dafür verpasst, auch die Jungs, die sich für gute Schwimmer hielten. "Aber keine Angst, uns ist noch nie einer über Bord gegangen."
Trotzdem stellte Fabian ein leichtes Entsetzen in Patricks Gesicht fest.
Brian fuhr fort: "Zieht euch dazu jetzt bitte um: Badehose und T-Shirt, weiter nichts. Keine Schuhe, wir paddeln barfuß." Brian lächelte schief. "Und lasst auch alle Armbanduhren hier, die werden nur nass und gehen vielleicht kaputt."
Die Biber-Jungs zogen los zu ihren Hütten. Nur Patrick blieb wie angewurzelt stehen.
"Was ist mit dir?" fragte Brian.
"Ich... kann nicht...", stotterte Patrick.
"Was kannst du nicht?"
"Ich kann nicht rudern." Patrick zitterte kaum merklich.
"Wir paddeln, nicht rudern. Kanus paddelt man. Außerdem kannst du das heute lernen. Es ist überhaupt nicht schwer."
Patrick schüttelte leicht verkrampft seinen Kopf. "N... nein!"
"Siehst du", sagte Brian, weil er dachte, Patrick meinte damit, es sei nicht schwer zu lernen.
"Ich kann nicht!"
Brian wollte sich schon abwenden, aber er beugte sich nun genervt zu Patrick hinunter. "Was ist denn noch?"
"Ich kann nicht mitkommen."
"Warum das denn nicht? Du bekommst eine Schwimmweste, was soll denn da passieren?"
"Mei... meine Haut. Die Sonne brennt. Ich kriege dann immer einen Sonnenbrand. Und Fieber." Patricks türkisgrüne Augen zeigten ehrliche Angst.
Brian seufzte. "Ach herrje, was machen wir denn da mit dir?" Er knetete seine Unterlippe. "Dann musst du wohl hierbleiben, im Schatten."

Fabian hatte sich umgezogen. Wie die Anderen trug er das grüne Bibershirt und seine Badehose. Aber wo war Patrick? Er war gar nicht mit in die Hütte gekommen, und auch nach dem Umziehen ließ er sich nicht blicken. Fabian ging ins Haupthaus und schaute in den Speisesaal. Aber dort war niemand.
Auf dem Korridor traf er Brian, der wie alle Gruppenleiter sein Zimmer im Hauptgebäude hatte. Er hatte sich riesige schwarze Badeshorts angezogen und gönnte sich den Komfort von Badeschlappen an den Füßen.
"Ich kann Patrick Finn nicht finden", sagte Fabian, "er gehört zu unserer Hütte und..."
"Der kleine Rothaarige?" entgegnete Brian. "Das ist schon in Ordnung. Er bleibt hier, er hat eine Sonnenallergie oder sowas. Ich hab ihm ein paar Bücher gegeben."
"Oh", konnte Fabian nur sagen und blieb niedergeschlagen im Korridor stehen.
"Du kannst mir helfen, die Schwimmwesten aus dem Schuppen zu holen", sagte Brian und zog ihn mit einer seiner dicken Hände mit sich.

Die Kanutour war toll, die Sonne brannte, aber auf der kühlen Wasseroberfläche merkte man kaum etwas davon. Sie machten Rast auf einer kleinen Insel in der Nähe des anderen Ufers, und Brian konnte den Jungs ein paar echte Biberbauten zeigen. Und auf dem Rückweg fuhren sie ganz nah an einer niedrigen Felswand vorbei, von der ein dünner Wasserfall hinabprasselte und sie ein wenig nass spritzte.
Aber Fabian war die ganze Zeit nur halb bei der Sache, denn er musste daran denken, dass Patrick dies alles verpasste. Bei Gelegenheit fragte er Brian, was noch alles auf dem Programm stünde und ob das den empfindlichen Patrick wieder ausschließen würde.
"Oh", sagte Brian gelassen, "wir haben da noch die Nachtwanderung und das Laternenfest und die Tierfütterung, und vielleicht machen wir eine Schnitzeljagd im Wald und solche Sachen. Es gibt da noch genug Gelegenheiten für deinen kleinen Freund."
Fabian seufzte. Das klang gar nicht so schlecht, und er war auch erleichtert, dass Brian sich offenbar Gedanken darüber gemacht hatte. Überhaupt gefiel ihm der Ober-Biber immer besser. Brian war einfach okay. Fast wie im Reflex legte er ihm die Hand auf die dicke Schulter und wollte sie schon wieder zurückziehen und eine Entschuldigung murmeln, aber Brian klopfte ihm ebenso auf die ungleich dünnere Schulter und nickte aufmunternd.

Kaum zurück im Camp, rannte Fabian los, Patrick suchen. Er war nicht schwer zu finden, er saß in der Hütte an dem kleinen Tisch. Ein paar Bildbände über Tiere lagen vor ihm, aber es sah nicht unbedingt aus, als hätte Patrick sie sich wirklich angesehen.
Fabian wollte etwas sagen, dass Patrick ihm leid tat oder so etwas. Da kam Dan hinter ihm in die Hütte gestampft und rief: "Boah, du hast was verpasst, Pat! Das war super!" Und er ließ sich auf sein Bett fallen, dass es krachte.
Patrick senkte den Blick auf das Buch, das vor ihm lag. "Nagetiere des Waldes"
Und nun kamen auch Julio und Mike in die Hütte getrappelt, und Julio fragte beinahe beiläufig: "Warum bist du nicht mitgekommen, Pat?"
Und Fabian stand immer noch da und konnte nichts sagen.
Patricks Gesichtszüge verzogen sich. Er senkte den Kopf. Und Fabian fühlte sich eigentlich genauso wie er, er fühlte sich zum Heulen. Ein jammervolles, dünnes Quieken kam von Patrick, und dann rollten Tränen über seine Sommersprossen.
Fabian setzte sich auf den nächsten Stuhl und sagte vorsichtig: "Wir machen noch eine Nachtwanderung und eine Schnitzeljagd im Wald und wir gehen Tiere füttern, da kommst du doch wieder mit. Ich werd nur noch Sachen mitmachen, bei denen du auch mitkommst!"
Patrick schüttelte kaum merklich den Kopf und dann quetschte er ganz leise zwischen den Tränen hervor: "Ich will nach Hause!"
Julio blieb hinter Fabian stehen und schaute auf den weinenden Patrick. "Was hast du denn?"
Fabian sagte: "Es stimmt schon, das Camp hat irgendwie schlecht angefangen. Das Essen ist Scheiße, die Betten sind Scheiße, und einige Typen hier im Camp sind... sind ganz schöne Blödmänner." Er wollte nicht sagen, dass Angelo und seine Kumpels Scheiße wären, denn die waren einfach nur dumm und rücksichtslos.
"Ich will nach Hause!" heulte Patrick und ließ seinen Tränen freien Lauf.
Fabian wusste nichts zu sagen. Für Patrick hatte es wohl seit Beginn der Fahrt kaum einen Augenblick gegeben, in dem er sich wirklich wohl gefühlt hatte. So, wie er sich im Bus sitzend festgehalten und aus dem Fenster gestarrt hatte, hatte er sich wohl schon am Anfang elend gefühlt. Und all die kleinen Sachen, die seither passiert waren, waren fast alle zum Nachteil von Patrick gelaufen. Fabian überlegte, ob es nicht wirklich am besten war, Brian zu bitten, Patricks Eltern anzurufen.
"Es tut mir leid", flüsterte Fabian.
"Ich will... zu meiner Mom... und meinem Dad", schluchzte Patrick.
"Dann können wir nicht mehr zusammen schwimmen üben", sagte Fabian. "Darauf hatte ich mich richtig gefreut."
"Ich...", Patrick hatte vom Heulen eine Art Schluckauf, "ich... kann nicht schwimmen. Ich... will nicht schwimmen. Ich kann... auch keine schmutzigen Witze."
Julio schaute betreten auf den Boden. Er wäre wohl nie auf die Idee gekommen, dass schmutzige Wörter sagen einen sensiblen Jungen wie Patrick einschüchtern könnte. "Ich kann ja auch bloß den einen Witz."
"Du willst mir doch gar nichts beibringen!""Und du..." Patrick schaute tränenverschleiert in Fabians Gesicht. "Du gehst doch... sowieso mit diesem... Blödmann schwimmen. Du willst mir doch gar nichts... beibringen."
"Doch!" sagte Fabian, "das will ich aber ganz bestimmt. Ich hab dir versprochen, mit dir schwimmen zu üben, und das halte ich."
Patrick zog eine dicke Ladung Nasses in seiner Nase hoch und holte zwischen seinem Schluckauf nur mit Mühe Atem.
"Wir erzählen keine schmutzigen Sachen mehr, okay?" sagte Julio.
Draußen gingen die anderen Kinder an der Hütte vorbei zum Mittagessen. Ein Windhauch wehte den Geruch von etwas Gebratenem herüber, von Speck und Zwiebeln.
Dan zog sich die Schuhe an. "Ich glaube, heute gibt es mal was Handfestes!"
Julio schaute unschlüssig, ob er jetzt einfach zum Essen gehen sollte, während hier Patrick in Tränen aufgelöst saß. Dann sagte er: "Du musst nicht traurig sein, Pat. Wir sind doch auch noch da."
Nach und nach ließen die anderen Jungs Fabian und Patrick allein in der Hütte und gingen zum Mittagessen.
Fabian fragte vorsichtig.Fabian fragte: "Sollen wir wirklich Brian bitten, deine Eltern anzurufen?"
Patrick schluchzte noch, aber immerhin hatten die Tränen jetzt aufgehört. Er sagte nichts.
"Überleg dir, dann ist für dich das Camp schon wieder zu Ende und du verpasst wirklich alles. Auch die Nachtwanderung und wie wir Tiere füttern."
Patrick schniefte und überlegte.
Dann fiel Fabian etwas ein. Er ging zu seinem Rucksack und holte etwas hervor. Es war der kleine Stoffpinguin, den ihm Jeremy einmal geschenkt hatte. "Das ist James, der Butler. Er ist mein Glücksbringer." Er stellte den Pinguin auf den Tisch neben die Bücher. "Ich hab ihn von meinem kleinen Bruder. Weil unsere Eltern sich wieder getrennt haben, wohnt mein Bruder nicht mehr bei uns. Er ist ungefähr so groß wie du." Er schob die Figur näher zu Patrick. "Ich leih dir James, wenn du magst. Dann kann er auf dich aufpassen."
Patrick schaute auf James, den Butler. Dann fragte er mit dünner Stimme: "Du hast ein Stofftier?"
"Ich habe eine ganze Menge Stofftiere. Aber das hier ist mein Glücksbringer, denn mein kleiner Bruder hat ihn mir geschenkt."
Unvermittelt kam Bewegung in Patrick. Er nahm seinen eigenen Rucksack und setzte sich damit hinüber auf sein Bett. Und dann holte er aus seinem Rucksack ebenfalls ein Stofftier hervor. Es war ein gutes Stück größer als James, der Butler, es war aus weißem Plüsch mit braunen Flecken und stellte wohl ein Schwein dar. "Ich hab auch eins mit."
Fabian setzte sich neben ihn auf sein Bett.
"Das ist Snoozie", stellte Patrick sein Stoffschwein vor.
"Warum hast du Snoozie im Rucksack versteckt? Der gehört doch zu dir in dein Bett."
Patrick wurde ein bisschen rot und kaute auf seiner Unterlippe. "Ich dachte, keiner hat hier ein Stofftier mit."
"Dann haben wir jetzt beide eins dabei", sagte Fabian.
"Okay", sagte Patrick und hielt sein Stoffschwein im Arm. Er lehnte ganz nah an Fabians Seite, und Fabian spürte, dass Patrick seine Nähe suchte. Und da dachte er nicht weiter nach, sondern legte die Arme um Patricks Bauch und drückte ihn an sich. Und Patrick atmete nur einmal erleichtert aus und lehnte sich weiter zurück, bis sein Kopf leicht an Fabians Wange stieß.
So blieben sie eine ganze Weile auf dem Bett sitzen und schwiegen.
Und dann noch ein bisschen länger.
"Du musst nicht mit mir schwimmen üben, wenn du nicht willst", sagte Fabian leise, "aber ich will in jedem Fall. Angelo, Ryan und die anderen Typen können mir gestohlen bleiben."
Patrick sagte nichts, sondern umklammerte nur sein Stoffschwein.
Fabian sagte: "Von allen, die hier sind, kann ich dich am besten leiden. Und ich wär traurig, wenn du gleich wieder nach Hause fährst." Er hielt Patrick noch ein bisschen fester, während dieser begann, sein Stoffschwein zu streicheln. "Überlegst du es dir noch mal? Bis morgen? Bis morgen nach dem Frühstück, solange bleibst du noch hier, und dann entscheidest du dich, okay?"
Patrick streichelte noch ein bisschen sein Stofftier, dann sagte er: "Okay."
"Gehen wir jetzt mittagessen?" fragte Fabian vorsichtig.
Patrick seufzte. "Okay."

Am Nachmittag mussten die Biber "ritterlich" sein, wie Brian es ausdrückte. Denn die Waschbär-Mädchen übten einen Tanz ein, so eine Art Polka mit Ringelreihen, und dazu brauchten sie unbedingt einige Jungs, die mehr oder weniger als Statisten herumstanden und mit ihren Armen Torbögen bildeten. "Ihr müsst nicht selber tanzen", versuchte Brian seine Biber zu beruhigen.
Die Mädchen nahmen die Grillwiese zum üben, und da die im Schatten der Bäume lag, konnte sich Patrick nicht herausreden. Einige Mädchen hatten sich kleine Blumen ins Haar gesteckt, um auch wie Polkatänzerinnen auszusehen.
Christine, die lockige Gruppenleiterin, bearbeitete dazu ein Akkordeon und gab dabei immer wieder Anweisungen: "Jetzt alle im Kreis, und die Hände in die Hüften und --- dre-hen!"
Die Biber mussten zunächst nur im Kreis in der Mitte stehen und sich das ansehen. Dann sollten sie sich zu Paaren an den Händen nehmen und ein Spalier bilden. Natürlich machten Fabian und Patrick so ein Paar. Schließlich sollten sie im Takt der Musik die vorbeitanzenden Mädchen "einfangen" und wieder loslassen. Das tat Patrick mit unerwartetem Eifer. Die eingefangenen Mädchen schauten zunächst überrascht, dann verstört und schließlich maulten sie sogar, das täte ja weh.
Patrick kicherte nur und fasste Fabians Hand fester, als könnten sie sich verlieren.
Überhaupt war Patrick so sehr bei der Sache, dass sich Fabian wunderte. Er hatte befürchtet, für so einen Weiberkram abgestellt zu werden, würde Patricks Laune wieder verschlechtern. Aber der Ringelpiez mit den Mädchen schien ihm zu gefallen.
Die Waschbären-Mädchen tuschelten untereinander und schauten immer wieder hinüber zu Fabian und Patrick. Regten sie sich auf über die beiden Rüpel?
Die Adler würden nach Einbruch der Dunkelheit ihre Nachtwanderung machen, und so hatten sie den Nachmittag zur freien Verfügung. Man sah Angelo und seine Clique in Badehosen johlend zum Strand laufen.
Prima, dachte sich Fabian, dann wäre der Strand am Abend frei.

Nach dem Abendessen, während sich die Adler lautstark um Hank versammelten, sagte Brian nur, nach all der Bewegung hätten sich die Biber einen gemütlichen Abend verdient. Wer wolle, könne sich im Speisesaal die Übertragung eines wichtigen Fußballspiels ansehen, für das sich Dan, das Walroß, auch gleich mit Handzeichen anmeldete. Außerdem gäbe es dort auch Brett- und Kartenspiele, und Brian wolle bis zum Fußballspiel den Kiosk öffnen und Getränkedosen, Süßigkeiten und Postkarten verkaufen.
Fabian wollte Patrick nicht unter Druck setzen, also gab er erstmal vor, sowieso schwimmen zu gehen. "Willst du mitkommen? Ich meine, der Strand ist frei, die Sonne brennt nicht mehr - beste Bedingungen." Er hatte sich seine Schwimmshorts angezogen und stemmte die Hände in die schmalen Hüften.
Patrick zögerte etwas. Aber als selbst Julio und Mike zum Haupthaus rübergingen, und sie allein in der Hütte waren, stimmte er zu. "Aber du musst draußen warten, wenn ich mich umziehe!"
Fabian grinste. "Okay." Er ging hinaus vor die Hütte und atmete die abendliche Sommerluft tief ein. Es war noch ziemlich warm und windstill. Die Sonne stand tief und gelb am Himmel. Fabian setzte sich eine Weile auf die hölzerne Treppenstufe vor der Hütte und bohrte mit seinen nackten Zehen im Staub. Er spürte eine nervöse Vorfreude.
Als Patrick endlich herauskam, trug er eine knappe, blaue Badehose und ein weißes T-Shirt und seine Turnschuhe. "Fertig", sagte er.
"Willst du mit den ganzen Sachen ins Wasser?" fragte Fabian.
"Nee, nur bis zum Strand."
"Na, dann komm!" Und sie liefen über die Grillwiese und einen Trampelpfad hinunter bis zum Strand.
Es war wirklich 'freie Bahn', sie hatten den Bootssteg und den kleinen Strand ganz für sich allein. Fabian wartete gar nicht lange ab, sondern nahm direkt Anlauf auf den Steg und sprang mit einem langen Satz ins Wasser. Es war ein kleiner Kälteschock, der erste Kontakt mit dem Wasser, aber er legte sich schnell wieder, denn wirklich kalt war das Wasser nicht. Nah an der Oberfläche war es sogar richtig warm. Fabian besann sich auf Patrick, machte ein paar Schwimmzüge in Richtung Strand und ging dann ins seichte Wasser.
Patrick hatte mittlerweile das T-Shirt und die Schuhe ausgezogen und stand schon mit den Füßen im Wasser. Er tat so, als fände er das Wasser ziemlich kalt.
"Wir müssen schon so weit rein, dass man auch ein paar Schwimmzüge machen kann, also vielleicht bis zum Bauchnabel", sagte Fabian, vor Nässe triefend.
"Ja, ja", sagte Patrick und ging ein wenig übertrieben zitternd Schritt für Schritt weiter ins Wasser. Im warmen Licht der tiefstehenden Sonne sah er gar nicht mehr so blass aus. Nur ein paar vereinzelte Sommersprossen und zwei kleine, rostrote Brustwarzen hoben sich von seiner Haut kontrastreich ab.
"Das Wasser wirkt nur kalt, solange man sich nicht bewegt", sagte Fabian und war versucht, Patrick nasszuspritzen, aber er wusste nur zu gut, wie er das selber hasste.
Patrick war nun bis zu dem Punkt im Wasser, bei dem nur die Beine nass wurden und der Hintern gerade noch eben über der Wasseroberfläche war. Diesen Punkt zu überwinden, war das schwierigste, denn ab hier wurden besonders empfindliche Teile nass. Die Arme angelegt, als würde er frieren, ging Patrick ein paar Mal angedeutet in die Hocke, so dass die blaue Badehose an seinem Hintern nass wurde.

Patrick tauchte leicht den Hintern ein.

Fabian stand geduldig daneben und wartete darauf, dass sich Patrick an die Temperatur gewöhnte. Aber schließlich sagte er: "Wenn du nicht einmal ganz eintauchst, gewöhnst du dich nie dran."
"Ich weiß", sagte Patrick bibbernd und tauchte wieder nur den Po ein, um ihn gleich wieder in die Abendsonne zu halten.
Da verlor Fabian doch die Nerven und schubste den kleineren Jungen bei der nächsten Gelegenheit einfach ins Wasser. Patrick strampelte ein paar Mal und kam dann prustend zurück an die Oberfläche. "Entschuldige", sagte Fabian, "aber das musste sein. Es war nicht mit anzusehen."
Patrick erhob keine Vorwürfe, wischte sich nur das Wasser aus dem sommersprossigen Gesicht.
"Wie fangen wir am besten an? Kannst du 'Toter Mann' machen?" fragte Fabian und ging ein paar Schritte ins tiefere Wasser, bis es ihm etwa bis zum Bauch ging. Dann ließ er sich zurücksinken, tauchte mit dem Rücken ins Wasser und nahm schließlich die Füße hoch, bis er in voller Länge an der Oberfläche trieb.
"Ja, das kann ich auch, glaube ich", sagte Patrick und versuchte, es ihm nachzumachen. Aber er hielt dabei die Luft an und geriet mit dem Kopf unter Wasser und fing dann an zu strampeln, bis er wieder auf seinen Füßen stand.
"Du darfst dich nicht dabei bewegen."
"Ich weiß", sagte Patrick und probierte es noch einmal, aber er versank wieder dabei und kämpfte sich zurück an die Luft.
"Du vertraust nicht darauf, dass die Luft in deinen Lungen dich oben hält", stellte Fabian fest. "Vielleicht geht es besser, wenn ich dich festhalte." Er drehte sich zurück in den Stand und stellte sich hinter Patrick. "Pass auf, ich halte deinen Kopf über Wasser, dir kann nichts passieren. Probier es noch mal, lass dich einfach im Wasser treiben."
Patrick ging in die Hocke, bis er bis zum Hals im Wasser war. Fabian hielt ihn an den Schultern und beugte sich dabei leicht über seinen Kopf. Zögerlich ließ sich Patrick nach hinten sinken, bis der Rest seines Körpers etwas Auftrieb bekam. Schließlich lag er mit ausgebreiteten Armen flach auf dem Wasser und schaute nach oben, in Fabians Gesicht. Sein Kopf mit dem an der Oberfläche schwebenden rotblonden Haarschopf stieß leicht an Fabians Bauch an. Er lächelte mit seinen roten Lippen.
"Na bitte, geht doch", sagte Fabian. "Spürst du, wie das Wasser dich trägt?"
Patrick nickte andeutungsweise.
"Ich lasse jetzt langsam los, okay?" Fabian nahm langsam seine Hände zurück. "Du musst einfach nur still bleiben. Das Wasser kann dir nichts tun, nass bist du schon."
Patrick trieb eine Weile auf dem stillen Wasser und schaute in den Himmel.
"Wenn man nicht schwimmen kann, glaubt man, man geht im Wasser sofort unter. Aber das stimmt nicht. Man muss nur ganz wenig tun, um an der Oberfläche zu bleiben. Und wenn man dann schwimmen lernt, glaubt man, man würde Wasser schlucken beim Luftholen und versucht, die Luft anzuhalten. Auch das stimmt nicht."
"Ja, aber wie macht man es denn?" fragte Patrick und kam dabei schon aus dem Gleichgewicht und musste direkt wieder strampeln, bis er prustend auf die Beine kam.
"Also beim Kraulen ist es ganz einfach, da schwimmt man eigentlich auf der Seite liegend und der Kopf ist zur Seite gedreht, wenn man einatmet", erklärte Fabian. "Warte, ich zeig's dir!" Er führte ein paar Schwimmzüge Kraul vor, fast wie in Zeitlupe. "Hier, sieh! Ich gleite ganz ruhig im Wasser und kann bei jedem Zug zur Seite atmen."
"Cool", sagte Patrick. Aber er schien ziemlich ungläubig.
"Willst du das auch mal probieren? Ich kann dich dabei festhalten", schlug Fabian vor.
Patrick konnte sich das nicht so recht vorstellen.
"Mach nochmal 'Toter Mann', ich halte dich dabei wieder fest", sagte Fabian. Und Patrick ließ sich erneut zurück ins Wasser sinken, bis er an Fabians dünnem Bauch hinauf in den Himmel sah. Aber diesmal schob Fabian den auf seinem Rücken treibenden Jungen in etwas tieferes Wasser, bis er ihn bequem mit beiden Armen halten konnte, als wollte er ihn wie ein Baby wiegen. "So, jetzt dreh dich auf die Seite! Keine Angst, ich halte dich über Wasser."
Patrick schaute irritiert um sich, wie er das bewerkstelligen sollte. Als er dann aber merkte, dass Fabian ihn wirklich hochhielt, drehte er sich vorsichtig, bis er auf der Seite in Fabians Armen lag.
Dann griff Fabian um, bis er ihn mit beiden Armen oberhalb des Bauches umfasste. "Lass den Kopf zur Seite gedreht, damit er über Wasser bleibt!" Er drehte den Jungenkörper in seiner Umklammerung noch ein Stück weiter, so dass Patrick fast in Bauchlage kam. "Mach mal einen Armzug, mit dem Arm der jetzt ganz im Wasser ist!"
Patrick probierte einen wackligen Armzug.
"Fast wie beim Ruderboot", erklärte Fabian, "du musst nur tiefer eintauchen. Und für den anderen Arm musst du dich im Wasser halb umdrehen, und mit dem Kopf kannst du dann zur anderen Seite atmen."
Sie probierten diese Bewegungen, während Fabian den kleineren Patrick über Wasser hielt. Dann versuchte Patrick ein paar Schwimmzüge allein, aber er hielt dabei die Luft an und versank unweigerlich. Auch die nächsten Versuche waren nicht besser, nach drei, vier Zügen verschwand er unter Wasser.
"Mist!" fluchte Patrick und wischte sich das Wasser aus dem Gesicht.
"Ach, für den Anfang ist es gar nicht schlecht. Du strampelst nur zu viel. Du musst dich mehr ins Wasser legen und darauf vertrauen, dass es dich trägt, wie beim 'Toten Mann'. Und dann erst solltest du die Arme bewegen."
Patrick versuchte es noch ein paar Mal mit mehr Ruhe, und auch wenn er dabei manchmal so unterging, dass er prustend und hustend nach oben kommen musste, sahen einige Versuche schon fast aus wie Schwimmen.
Die beiden Jungs machten dann zur Abwechslung eine ganze Zeit lang nur wilde Sprünge vom Bootssteg aus, machten dabei Faxen und dumme Gesichter und mussten viel lachen. Patrick hatte inzwischen seine Scheu vor dem Baden gänzlich abgelegt. Und so verging die Zeit. Die Sonne verschwand hinter den Baumwipfeln, und der Himmel wurde langsam dämmerig violett.
"Wir müssen bald aufhören", bemerkte Fabian.
Drüben im Lager hörten sie einige wohlbekannte, aufgeregte Jungenstimmen, und es kreisten und blitzten die Lichtkegel von Taschenlampen. Das waren die Adler, die zur Nachtwanderung aufbrachen.
Patrick und Fabian verweilten dabei still im Wasser, als fürchteten sie, die Adler könnten sie im Wasser 'entdecken'. Erst als der Lichterzug im Wald verschwunden war, bewegten sie sich wieder.
Fabian fragte: "Wollen wir noch einen letzten Versuch machen? Ich schwimme mit dir auf dem Rücken, wie bei einem Delfin. Du hältst dich einfach an meinen Schultern fest."
Patrick schaute erstaunt seinen größeren Freund an.
Fabian fügte hinzu: "So hat das mein... Vater auch mit mir gemacht." Und er meinte wieder Walter, der ihm das Schwimmen beigebracht hatte. Fabian machte ein paar Schritte ins tiefere Wasser und ging dann in die Hocke, bis nur noch Kopf und Schultern herausschauten. "Komm!"
Patrick kicherte und hängte sich mit beiden Händen an Fabian.
Der größere Junge machte vorsichtig ein paar Schwimmzüge, versuchte dabei, nicht mit Patricks im Wasser baumelnden Beinen ins Gehege zu kommen. Ein paar Mal drückte ihn das Gewicht des Jungen an seinen Schultern leicht unter Wasser, aber das bekam er mit einem Brustschwimmzug wieder hin. Dann blieb er, mit den Armen Auftrieb erzeugend, auf der Stelle.
Er schnaufte. "Hier ist es ziemlich tief, ich kann nicht mehr stehen."
Patrick klang ängstlich: "Bitte, Fabian, lass uns zurückschwimmen!"
Fabian spuckte. "Du musst selbst zurück schwimmen, ich schaff das nicht mehr mit dir auf dem Rücken!" Er versank kurz bis zur Nasenspitze und prustete.
"Ieek, ich kann das nicht!"
"Du musst! Schnell! Ich kann nicht mehr!" Fabian versank halb. Da lösten sich die Finger von seinen Schultern.
Patrick strampelte ums Überleben, dass die Gischt spritzte.
"Ruhig!" rief Fabian, der seinen Kopf wieder über Wasser halten konnte. "Mach ruhige Züge!"
Patrick spuckte Wasser aus, drehte den Kopf hin und her, aber mit der Zeit bekam er mehr Ruhe und schwamm tatsächlich ein Stück.
Fabian kicherte. "Na siehst du, du kannst es ja!" Und mit den Zehenspitzen stellte er sich auf den Grund.
Patrick hörte erst auf, als er mit den Armen schon den sandigen Boden des Sees berührte. Er war in viel flacherem Wasser, als er dachte. Und als er Fabian lachen hörte, kapierte er endlich. Er stand auf und fluchte. "Du hast mir richtig Angst eingejagt!"
"Das hat mein Vater mir auch, aber man lernt es so am schnellsten."
"Das ist aber eine Scheiß-Methode!" rief Patrick aufgebracht und ging auf Fabian los. Er griff sich die Handgelenke des größeren, dünnen Jungen und versuchte, ihn ins Wasser zu schubsen.
Fabian musste immer noch lachen, teils wegen seines eigenen Streiches, teils wegen der emsigen Bemühungen des kleineren Patrick, ihn umzuwerfen. Er machte mit bei dem Spiel, lenkte den angedeuteten Ringkampf aber ins ganz flache Wasser. Patrick änderte jetzt seine Taktik, versuchte nun, Fabian am Oberkörper zu packen und ihm ein Bein zu stellen. Und Fabian hielt seinerseits den sommersprossigen Jungen an Brust und Rücken umklammert und wartete ab, was er noch versuchen würde. Schließlich entschied er, das Gleichgewicht zu verlieren, und mit Patrick zusammen der Länge nach ins flache Wasser zu klatschen.
Dort blieben sie in einer Art Ringkampf-Umarmung eine Weile liegen. Es war schon fast dunkel, und sie konnten kaum noch erkennen, was für ein Gesicht der Andere machte. Nass und laut schnauften sie ihre Atemzüge über die Wasseroberfläche. Fabian hielt Patricks Schulter gar nicht mehr richtig fest, sondern streichelte vielmehr die nasse, kühle Haut. Und Patrick bewegte sich nicht, er schluckte und schnaufte im dämmerigen Halbdunkel. Ihre Oberkörper berührten einander, und das Wasser dazwischen machte ein merkwürdiges Geräusch. Für Fabian hätte dieser schöne Augenblick ruhig noch länger dauern können, aber dann dachte er, er würde Patrick Angst machen. Der rotblonde Junge rührte sich nicht und sagte kein Wort.
Schließlich fand Fabian, dass sie besser aufstehen und aus dem Wasser gehen sollten, bevor ihnen zu kalt wurde. Unsicher watete er ans Ufer und schaute sich um nach Patrick.
"Wow", sagte Patrick, "es ist schon voll dunkel!" Der letzte dämmerige Schimmer reichte aber immer noch, um seine Schuhe und sein Shirt am Strand zu finden. Dann liefen die beiden nass triefenden Jungs zurück zu ihrer Hütte.
"Jetzt warte ich aber nicht, bis du umgezogen bist", sagte Fabian und bibberte ein wenig. "Wir können ja das Licht aus lassen."
"Okay", sagte Patrick, der ebenfalls ein bisschen bibberte und ging in die dunkle Hütte.
Die anderen Bewohner waren noch im Haupthaus, die Hütte war still und leer. Durch das Fenster neben der Tür drang nur noch die Ahnung eines Lichtscheins. Es war schwarz. Fabian und Patrick konnten sich gegenseitig eher hören statt sehen. Patrick blieb anscheinend regungslos stehen und lauschte. Von ihm war nur der leise Atem zu hören. Dann kicherte er wegen der komischen Situation. "Ich kann nichts sehen", sagte er.
"Ich auch nicht, aber das willst du doch gerade." Fabian tastete im Dunkeln. Natürlich erfühlte er "zufällig" zuerst eine nasse, kühle Jungenschulter. "Da bist du."
Patrick zuckte leicht, blieb aber stehen und lachte leise.
Dann tastete Fabian zur Seite und traf nach ein, zwei Schritten auf das Bett, das ihm und Patrick gehörte. "Hier ist unser Bett." Er schlug leicht mit der flachen Hand drauf, so dass Patrick es im Dunkeln orten könnte. Fabian tastete sich am Bettgestell voran bis zum Kopfende, über das er sein Handtuch zum Trocknen gehängt hatte. Erleichtert darüber, sein Handtuch gefunden zu haben, begann er, sich abzutrocknen.
Patrick hatte inzwischen auch seinen Rucksack gefunden, es erklang das Nesteln von Nylongurten und das Öffnen eines Reißverschlusses. Nach einigem Wühlen zog er etwas hervor und rubbelte sich damit ab.
Fabian zog seine nasse, kalte Badehose aus und ließ sie erstmal auf dem Boden liegen. Dann schlang er sich das Handtuch um die Hüften und hob die Badehose auf. Mit dem tropfenden Knäuel in der Hand tapste er zur Tür. "Achtung", warnte er kurz und öffnete sie. Ein Hauch kühler Abendluft kam herein, und ein Streifen dämmerigen Lichtscheins, in dem er kurz Patrick sehen konnte und wie er sich auch gerade die Badehose auszog. "Ich muss das nasse Ding auswringen", sagte Fabian und ging hinaus auf die kleine Holztreppe vor der Tür. Dort quetschte er einen kalten Schwall aus der Badehose, der den sandigen Weg vor der Hütte sprenkelte.
Er hörte ein paar tapsende Schritte von nackten Füßen, und dann stellte sich Patrick neben ihn. Er hatte sich ein rosa Handtuch um die Hüften geschlungen und hielt einen nassen dunklen Klumpen in der Hand. "Ich auch", sagte er kurz und wrang an dem Klumpen herum. Dabei stieß er mehrmals leicht an Fabians Seite, und das Gefühl dieser leichten Berührungen von zarter, kühler Haut jagte jedesmal einen kleinen Schauer durch Fabian.
Dann löste sich auch noch das rosa Handtuch von Patricks Hüften und glitt zu Boden. "Ups", sagte Patrick, und bückte sich schnell nach dem Handtuch und wickelte es sich um seine Mitte. Es war kein allzu großes Handtuch und es saß knapp.
Fabian verkniff sich jeden Kommentar und ging zurück in die Hütte.
Patrick folgte ihm und schloss hinter sich die Tür. Dann standen die beiden erneut im Stockdunkeln.
"Ich häng meine Badehose über den Bettpfosten zum Trocknen", sagte Fabian und erfühlte vorsichtig das Ende des Bettes, um dann das feuchte, kalte Ding in seiner Hand darüber zu hängen.
"Gute Idee", stimmte Patrick zu und tastete sich ebenfalls am Bett entlang, stieß aber vor Erreichen des Bettpfostens mit Fabian zusammen.
"Hier ist besetzt", murmelte Fabian und kicherte.
"Ups!" machte Patrick, und dann schon wieder: "Ups! Ich hab mein Handtuch verloren!"
Fabian fühlte das klamme Handtuch auf seinem Fuß liegen und überlegte einen Augenblick, ob er sich wirklich bücken sollte. Denn irgendeine Ahnung in ihm sagte, dass Patrick das mit Absicht gemacht hatte. Er wollte durch ein "Missgeschick" nackt im Dunkeln stehen, einen halben Schritt von Fabian entfernt. Aber mehr aus Reflex als aus Überlegung heraus, bückte Fabian sich doch nach dem Handtuch und stieß prompt mit der Stirn gegen einen feucht-klammen Jungenkopf.
"Au!" sagten beide gleichzeitig und gerieten ein bisschen aus dem Gleichgewicht. Ohne es wirklich gewollt zu haben, hielt Fabian plötzlich Patricks Schultern in seinen Händen, wahrscheinlich, um ihn etwas auf Distanz zu halten. Und Patrick hielt inne, bewegte sich nicht. Nicht einmal sein Atem war zu hören.
Dafür klopfte Fabians Herz mit heftigen Stößen. Dieser Moment war so aufregend und so verwirrend, dass er gar nicht mehr wusste, was er eigentlich tat. Beinah wie ferngesteuert glitten seine Hände ein Stück an Patricks Oberarmen herunter und dann langsam wieder hinauf. Und als Patrick sich immer noch nicht rührte, ließ er seine Hände noch ein Stückchen tiefer gleiten, bis er die schmale Taille umfasst hielt. Dort verharrte er und schnappte nach Luft. Das Blut pochte so heftig durch Fabians Adern, dass seine Fingerspitzen pulsierten. Die beiden Jungs waren sich so nahe, dass er Patricks nasses Haar riechen konnte.
Mit einem tiefen Atemstoß scheuchte Fabian die verbrauchte Luft aus seinen Lungen und atmete dann flach und unregelmäßig. Was, wenn jetzt einer hereinkam, das Licht anmachte und beide so sah, schoss es ihm durch den Kopf. Was, wenn Patrick es gar nicht wollte, was Fabian da machte?
Da musste Patrick ein wenig kichern. "Was machst du da?" fragte er, bewegte sich aber nicht, um etwa Fabians Hände loszuwerden.
Für einen Moment fühlte Fabian sich unfähig, irgendetwas zu tun. Dann musste auch er plötzlich kichern. "Ich weiß nicht", flüsterte er.
Noch immer blieb Patrick still im Dunkeln stehen und ließ Fabians Hände auf seinen Hüften liegen. Dann fühlte Fabian ein paar Fingerspitzen, die zaghaft seinen linken Arm ertasteten. Und dann noch mehr Fingerspitzen auf dem anderen Arm. Schließlich blieben Patricks warme Hände auf seinen Schultern liegen, so dass die beiden wohl in etwa dort standen, als wollten sie zu tanzen anfangen.
"Ich kann fühlen, wo du bist", sagte Patrick und verharrte in dieser Haltung.
Unweigerlich begannen Fabians Hände, auf der Haut von Patricks Hüften zu kreisen. Und er hätte auf diesem Weg wohl noch ganz andere Körperteile berührt, wenn die beiden Jungs nicht plötzlich etwas gehört hätten.
Draußen am Haupthaus fiel die Tür zu, und es kamen Schritte den sandigen Weg hinauf.
Für einen Moment waren die Jungs unfähig, sich zu rühren.
Dann sagte Fabian: "Los, Unterhosen an!" Und es kam Bewegung in die zwei Gestalten im Dunkeln. Fabian griff sich recht zielsicher seinen Rucksack, der am Kopfende des Bettes auf dem Fußboden lag. Aber Patrick tappte völlig orientierungslos herum, stieß gegen einen Stuhl und fluchte leise.
Die Schritte kamen tatsächlich auf ihre Hütte zu, polterten kurz über die Treppenstufen, und dann wurde auch schon die Tür aufgerissen, und das Licht ging an.
Der plötzliche Lichtschein stach Fabian in die Augen. Geblendet blinzelte er und versuchte zu erkennen, wer da in der Tür stand.
Es war Julio, das dunkelhaarige Pummelchen. Er zuckte kurz zurück, als er sah, dass jemand in der Hütte war. "Huh, was macht ihr denn hier?"

Julio platzte herein.

Fabian hatte sich im Dunkeln seine kurzen Jeans anziehen können, die ohne Unterhose darunter ein bisschen auf der Haut kniffen. Er hielt zwei feuchte Handtücher in der Hand - sein eigenes und das rosafarbene von Patrick.
Patrick selber stand splitternackt hinter dem Tisch mit den Stühlen und hielt sich verschämt die Hände vor.
"Wir ziehen uns um", sagte Fabian und blinzelte. "Wir waren schwimmen, bis es zu dunkel geworden ist." Er hängte die Handtücher zum Trocknen über das Kopfende vom Etagenbett. "Und fürs Umziehen haben wir halt das Licht ausgelassen."
Julios Gesicht erhellte sich. "Oh, verstehe!" Er schaute unverwandt auf den nackten, verschämten Patrick und kicherte. "Entschuldigung! Warte, ich mach's wieder aus." Seine Hand fuhr zum Lichtschalter, und schon fiel die Hütte wieder in Dunkelheit. Man sah nur noch Julios Kopf im matten Lichtschimmer des Fensters. Er musste immer noch kichern.
Die beiden anderen warteten eine Weile ab, ob sich Julio wieder verziehen würde. Aber keiner der Drei rührte sich.
Dann sagte Julio: "Ähm, ich hab schon gedacht, ihr zwei macht hier vielleicht..." Er gluckste im Dunkeln.
"Vielleicht... was?" fragte Fabian.
Julio kicherte. "Ihihihi, nein, das sag ich nicht!"
Fabian seufzte. "Oh Julio, dir sind die schmutzigen Witze zu Kopf gestiegen!"

Später, als selbst Patrick seine Sachen gefunden hatte und wieder angezogen war, und die Jungs zusammen Karten spielten, kamen Dan und Mike in die Hütte gepoltert.
"He, wisst ihr schon das allerschärfste?" posaunte der schwere Dan in die Runde. "Von den Adlern sind bei der Nachtwanderung ein paar abgehauen!" Er hielt die Tür auf, als wolle er gleich wieder rauslaufen. "Hank ist total ausgeflippt, das hättet ihr sehen sollen! Jetzt sind die Gruppenleiter losgezogen, um die Typen zu suchen. Eh Mann, wenn sie die nicht wiederfinden, dann müssen sie die Polizei holen mit Spürhunden und Hubschraubern und so." Er beugte sich durch die offene Tür nach draußen, und schaute, was sich dort tat.
Es waren einige aufgeregte Stimmen zu hören, vor allem die laute, dröhnende Stimme von William, dem Chef des Camps.
Dann lief Dan wieder nach draußen, um das Spektakel nicht zu verpassen.
Die anderen Jungs seufzten bloß und tranken noch eine Limo aus Brians Kiosk-Verkauf.
"Immer diese Adler!" meinte Julio ziemlich überheblich und schüttelte den Kopf.

Sie lagen dann schon im Bett und redeten noch etwas miteinander - ohne schmutzige Witze diesmal - als die Unruhe im Camp langsam nachließ, und auch Dan wieder zurück kam.
"Hank und die Schwanen-Tante haben sie gefunden. Sollte angeblich ein Scherz werden", berichtete Dan und zog sich die Schuhe aus. Eine käsige Aromawolke breitete sich in der Hütte aus. Dan schnaufte erleichtert.
"Meine Güte, Dan!" quiekte Julio und hielt sich die Nase zu.
"Hast du die Socken dieses Jahr schon mal gewechselt?" fragte Fabian.
Dan lehnte sich zurück. "Ich weiß gar nicht, was ihr habt. Das ist reine Natur!"

Es dauerte lange, bis Fabian in dieser Nacht schlafen konnte, obwohl er sich inzwischen einigermaßen an das miese Bett mit dem winzigen Kissen gewöhnt hatte. Aber ihn beschäftigte natürlich noch der aufregende Moment, als er mit Patrick allein im Dunkeln gestanden hatte. Würde er nochmal so eine Gelegenheit bekommen? Oder hätte das alles in einer Katastrophe geendet, wenn er weitergemacht hätte? Je länger dieser Augenblick zurücklag, desto weniger war er sich sicher, dass es Patrick gefallen hätte. Mitten in der Nacht wachte er auf. Die ganze Limo, die er beim Kartenspielen getrunken hatte, drückte ihm auf die Blase. So leise es ging, stand er auf und zog sich Schuhe und ein Shirt an. Dann schlich er hinaus zu den Toiletten.
In dem kahlen Raum der Jungentoiletten brannte Licht. Fabian war nicht allein hier, obwohl er zunächst Niemanden sehen konnte. Aber er hörte ein leises Schluchzen an den Wänden widerhallen.
Die Klokabinen standen alle offen, nur bei einer war die Tür halb angelehnt. Vorsichtig spähte Fabian durch den Türspalt.
Dort hockte Jemand mit gesenktem Kopf und heulte vor sich hin. Jemand mit dunklem, leicht gelocktem Haar und einem schwarzen T-Shirt. Und als er aufschaute, weil er Fabian bemerkt hatte, war es Angelo, der da mit tränenverschmierten Wangen saß.
"Hau ab, lass mich in Ruhe!" jammerte Angelo.
Fabian hatte sich denken können, dass Angelo zu den Witzbolden gehörte, die bei der Nachtwanderung verschwunden waren. Und wahrscheinlich hatte er wieder den ganzen Zoff abgekriegt.
"Ich muss aber mal pinkeln", sagte Fabian.
"Pinkel woanders!" rief Angelo und hielt die Tür zu.
Etwas unschlüssig ging Fabian in die benachbarte Klokabine und stellte sich vor die Schüssel. Aber solange Angelo nebenan schluchzte, konnte Fabian einfach nicht.
"Steh da nicht so blöd rum!" maulte Angelo. "Piss endlich und hau ab zu deinen Schwuchtel-Freunden!"
Fabian schrak ein wenig zusammen. Hatte irgendeiner was bemerkt? War es irgendjemandem aufgefallen, wie sehr er Patrick mochte? Hatte Julio etwas verraten? Aber der war doch den ganzen Abend bei ihnen geblieben zum Kartenspielen!
"Das totale Schwuchtel-Camp ist das hier!" fluchte Angelo unter Tränen. "Nur blöde Weiber und alte Tunten gibt es hier! Und so ein mieses Schwein wie Hank!" Er jammerte lauter und schluchzte.
Fabian stand nur da und konnte nicht pinkeln, obwohl ihn die Blase drückte, und wusste nichts zu sagen.
"Hank ist ein mieses Schwein!" sagte Angelo nochmal und dann brach ein noch größerer Schwall Tränen aus ihm hervor.
Fabian schaute um die Ecke herum und drückte vorsichtig die Tür der Nachbarkabine auf. Angelos schmerzverzerrtes, tränenglänzendes Gesicht sah ihn an.
"Das sind hier meine Ferien!" heulte Angelo. "Das sollen meine verdammten Ferien sein! Und dieses Schwein lässt mich dauernd den Müll wegputzen! Das sind doch keine Ferien! Und die Anderen haben mich fertiggemacht, letzte Nacht, nachdem wir den ganzen Grillplatz aufräumen mussten. Eine Wasserbombe haben sie mir ins Bett geschmissen. Und eine ins Gesicht. Und Hank hat das gewusst! Er hat das ganz genau gewusst, dieses Schwein!"
Fabian stand betreten da. Und er hatte gedacht, Angelo wäre der beliebteste Junge im Camp. Und dass ihm eine kleine Bestrafung gar nicht wehtun könne. Vor den Anderen wirkte er immer wie der Schönling mit der tollen Sommerbräune und der sportlichen, langbeinigen Figur. Und hier, auf einem schäbigen Klodeckel hockte nun ein sommergebräuntes, heulendes Kind.
Fabian sagte leise: "Ich dachte, das wären deine Freunde."
Angelo wischte sich mit dem Handrücken über die Wangen. "Aber eins steht fest: Das kriegt er zurück, dieses Schwein! Da wird mein Vater schon für sorgen! Der wird sich noch wundern!"
Fabian zögerte ein wenig, aber dann legte er seine Hand tröstend auf Angelos Schultern. Er fürchtete, der hübsche dunkelhaarige Junge könnte das falsch verstehen, aber Angelo schaute nur auf zu Fabian und trotz all der Tränen huschte ein kleines schmerzliches Lächeln über sein Gesicht. Und Fabian rieb tröstend die Schulter mit dem schwarzen Stoff des Adler-Shirts.
Angelo nickte und schluckte ein paar Tränen hinunter. "Der kann noch was erleben!"

Am nächsten Morgen nach dem Frühstück wurde Angelo von seiner Mutter abgeholt. Einige Kinder sahen dabei vom Eingang des Hauptgebäudes aus zu. Seine Mutter war mit einem schicken Sportwagen gekommen und hatte den vor dem großen Portal mit den Holzpalisaden abgestellt. Den Rucksack lässig geschultert, als wäre er ein Sattel und sein Träger John Wayne, schlenderte Angelo auf den Sportwagen zu. In der Gruppe der Kinder johlten und pfiffen ein paar hinter ihm her, und Fabian musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, dass das Ryan mit der Zahnklammer und die anderen Kumpanen waren.
Angelo zeigte seinen Mittelfinger und rief zurück: "Scheiß Schwuchtel-Lager!"
Da tauchte seine Mutter auf und klatschte ihm eine Ohrfeige ins Gesicht, dass Angelo seinen Rucksack verlor.
"Setz dich in den Wagen! Ich will kein Wort von dir hören!" schrie sie ihn an.
Sogar die Kinder am Haupteingang verstummten.
Und so stieg Angelo wortlos in den Wagen. Und der Wagen fuhr davon.

Fabian erinnerte sich daran, dass sich Patrick an diesem Morgen nach dem Frühstück entscheiden sollte, ob er bleiben oder nach Hause fahren wollte. Aber der bittere Abschied von Angelo bedrückte ihn so, dass er es lieber noch etwas hinausschob. Und während der Schnitzeljagd, die die Biber an diesem Tag machten, war Patrick so eifrig und fröhlich dabei, dass es Fabian schließlich einfach vergaß.
Die Tage im Camp waren toll und gingen irgendwie immer schneller vorbei. Während der Nachtwanderung der Biber blieben Fabian und Patrick immer auf Tuchfühlung, um sich ja nicht im Dunkeln zu verlieren. Und auch Julio kam immer wieder mal in die Nähe der beiden und gab erst Ruhe, als Fabian ihm für eine Weile den Arm um die Schultern gelegt hatte.
Bei der Fütterung im Tiergehege bekamen die Biber-Jungs Eimer und Kisten voll mit Grünzeug vom Parkwächter in die Hände gedrückt, und sollten die passend zu den Tieren verteilen. Patrick war ganz vernarrt in ein Wildschwein, das er sofort 'Snoozie' taufte. Er fütterte es mit Kartoffeln und streichelte seine schmutzige Nase. Und 'Snoozie' bedankte sich damit, dass es Patricks rosige Waden und Knie beschnüffelte und ihn schließlich umwarf und er im Matsch landete. Und Patrick lachte und konnte kaum wieder aufhören, obwohl er den Rest des Tages voller brauner Dreckflecken herumlaufen musste.
Ungestört schwimmen gehen konnten die beiden nicht mehr. Selbst abends waren entweder die Ex-Kumpanen von Angelo oder einige Mädchen an dem kleinen Strand mit dem Bootssteg, und dann traute sich Patrick nicht.
Und so war es plötzlich Samstag Abend - der letzte Abend im Camp und damit der Abend fürs Laternenfest. Die Schwanen-Mädchen hatten bunte Laternen gebastelt und über der Grillwiese aufgehängt. Die Waschbär-Mädchen zeigten ihre Polka mit den Bibern als Statisten, und danach gab es "Disco". Marion und Hank hatten dazu eine Stereoanlage aufgebaut, die ein wenig überfordert Chart-Musik der letzten Jahre in die Nachtluft dröhnte. Zunächst einmal fanden sich nur ein paar Mädchen, die dazu tanzten.
Brian hielt das Lagerfeuer in Gang, später gab es Folienkartoffeln und Spare Ribs vom Grill. An diesem Abend schenkten die Adler die Getränke aus, womit klar war, dass die Biber nachher aufräumen müssten.
Nach und nach gelang es den Mädchen, ein paar Jungs zum Tanzen zu bewegen, vor allem ältere. Sogar Fabian machte ein paar Stücke lang mit, weil ihn gleich zwei Mädchen gefragt hatten, und er sie nicht enttäuschen wollte. Die Musik dazu fand er schaurig. Überhaupt fiel Fabian an diesem Abend zum ersten Mal auf, dass sich in dem Camp auch ein paar Pärchen gefunden hatten - hauptsächlich zwischen Schwänen und Adlern. Und dass dies völlig an ihm vorbeigegangen war.
Er setzte sich auf einen der Baumstämme, die auf der Grillwiese lagen und als Sitzbänke dienten, und beobachtete eine Weile die Pärchen, die sich hauptsächlich in der Nähe der "Disco" herumtrieben. Hatte er nicht auch Chancen bei den Mädchen? Hatten nicht immer wieder mal welche sehnsüchtig zu ihm hinübergeschaut und gekichert? Aber er war immer in der Nähe seiner Biber geblieben, bei den Kleinen, Dicken und Schüchternen. Und so hatte er kaum ein Wort gewechselt mit den Mädchen, die ganzen sieben Tage lang. Und jetzt hatte er das komische Gefühl, er hätte etwas verpasst.
Dann kamen Patrick und Julio und setzten sich neben ihn. "Hi!" sagten sie und sie hatten beide eine Folienkartoffel mit einer Papierserviette in der Hand und höhlten diese mit einer Plastikgabel aus.
Fabian besah sich seine Bekanntschaften. Julio hatte sich Ketchup auf seine Folienkartoffel getan, und dieser Ketchup klebte jetzt als eine Art roter Milchbart an seiner Oberlippe. Patrick hatte dagegen Tsatsiki genommen und sich damit das grüne Biber-Shirt bekleckert. Wegen diesen kleinen Losern hatte er nun also eine Woche lang die Mädchen übersehen! Fabian seufzte.
"Bist du traurig?" fragte Julio prompt.
Fabian hob die Schultern. "Ach, nichts."
"Was ist mit dir?" fragte Julio und meinte damit Patrick. "Freust du dich, dass es morgen nach Hause geht?"
Patrick schaute kurz von Einem zum Anderen, die Gabel zwischen den Lippen, und hob dann auch die Schultern. "Geht so."
"Vor ein paar Tagen hast du dich aber noch ganz anders angehört", stichelte Julio.
Patrick hob wieder die Schultern. "Da war ich eben schlecht drauf."
"Haha, 'schlecht drauf'! Geheult hast du und nach Mama und Papa gerufen."
"Na und?" widersetzte Patrick. "Hast du nie Heimweh?"
"Ist doch okay", sagte Julio und grinste mit seinem roten Milchbart. Er drückte die Überreste seiner Folienkartoffel zusammen. "Puh, jetzt brauch ich was zu trinken. Kommst du mit?"
"Nein", sagte Patrick ein wenig barsch. "Ich bleib hier bei Fabian."
"Na schön", sagte Julio und stand auf. "Ich komm gleich wieder, ja?"
"Ja, ja", sagte Patrick. Aber als Julio hinter einigen Mädchen verschwunden war, sprang Patrick auf und sagte: "Komm, wir hauen schnell ab!" Und er zog Fabian mit sich an den Rand der Grillwiese. Und als sie selbst dort noch vom Schein der Laternen erfasst wurden, liefen sie weiter in Richtung Strand. An der Ecke einer Hütte blieben sie stehen und beobachteten, wie Julio mit einem Becher Limonade zurückkam und sich verwundert umsah. Schließlich drehte er enttäuscht ab.
"Das war jetzt aber ziemlich gemein", sagte Fabian leise. "Hast du irgendwas gegen Julio?"
"Nö", sagte Patrick nur. "Nichts besonderes." Er setzte sich ins Gras. "Komm, setz dich auch hin!"
Neugierig setzte sich Fabian daneben. Sie saßen ziemlich im Schatten, wo weder das Licht der Laternen noch der blasse Schimmer des Mondes hinfiel. Aber sie konnten gut sehen, welche Gestalten am Strand und auf dem Bootssteg saßen. Dunkle Silhouetten saßen dort, Hand in Hand, Arm in Arm.
"Hier sind lauter Liebespaare", flüsterte Fabian.
Und Patrick kicherte leise.
Von der "Disco" her ertönte die schmachtende Melodie eines Liebesliedes. Einige der Jungs dort nahmen Reißaus, aber andere ließen sich zum Engtanz hinreißen.
"Das war mal mein Lieblingslied", sagte Patrick und schaute Fabian in die Augen, und er konnte im Dunkeln nur ein leichtes Schimmern sehen.
"Oh", sagte Fabian nur, weil er fand, das sei ein typisches Lied für Mädchen. "Cool."
Patrick lauschte eine Weile der Melodie, dann sagte er unvermittelt: "Kennst du Sternbilder?" Und er zeigte hinauf zum Nachthimmel, der mit unzähligen, klaren Sternen gesprenkelt war.
"Hm, ein paar", murmelte Fabian. "Einer meiner Freunde kennt sich damit aus. Ich kann mir nicht viel davon merken."
"Zeigst du mir welche?" fragte Patrick wieder und schaute in die ungewisse Richtung, in der Fabians Gesicht liegen musste.
"Na ja, warte mal...", sagte Fabian und suchte nach bekannten Sternen. "Ich glaub, ich seh Cassiopeia. Das Ding sieht mehr aus wie ein großes 'W'. Da oben, siehst du?" Fabian zeigte in den Himmel.
"Wo denn?" fragte Patrick und versuchte, dem Fingerzeig zu folgen.
Fabian beugte sich näher zu Patrick, schaute praktisch über seine Schulter und deutete an seinem Kopf vorbei. "Die fünf hellen Sterne dort, siehst du?"
Patrick rückte näher an Fabian heran, bis er zwischen seinen Beinen saß und sich praktisch mit seinem Rücken an Fabians Brust lehnte. "Ja! Da, ein großes 'W'!" Er schaute einen Moment lang. "Kennst du noch eins?"
"Hm, der Orion muss ganz in der Nähe der Cassiopeia sein. Sieht'n bisschen aus, wie eine Garnspindel... mit drei Sternen in einer Reihe in der Mitte..."
Die beiden schauten eine Weile in den Himmel. Während sie ihre Köpfe auf der Suche nach dem Orion hin- und herbewegten, strich Fabians Nasenspitze ein paar Mal durch Patricks weiches Haar - zunächst unabsichtlich. Aber dann ließ Fabian ein wenig seinen Kopf sinken, so dass sich seine Nase tiefer in den Haarschopf grub und dann langsam am Ohr vorbei bis hinunter zu Patricks Nacken fuhr.
Patricks Kopf hielt inne. Fabians Arme schlangen sich um den Oberkörper seines jüngeren Freundes. Seine Wange glitt langsam über die warme Haut von Patricks Nacken und spürte den kaum sichtbaren blonden Flaum. Der Halsausschnitt des grünen T-Shirts war so weit, dass immer ein Stück Unterhemd herausschaute. Und dann begannen Fabians Lippen den Nacken zwischen Unterhemd und rotblondem Schopf zu küssen.
Patrick atmete tief und hielt Fabians Hände an sich gepresst.
Fabian küsste Patricks Nacken.Fabian küsste den blassrosa Hals, er küsste den rotblonden Haaransatz im Nacken, er küsste die Backe mit den zwei winzigen Leberflecken, er küsste die Wange mit den hellen Sommersprossen. Und seine Hände fühlten, wie sich Patricks Brust hob und senkte im Wechsel seines aufgeregten Atmens.
Fest umschlungen sanken die beiden nieder ins Gras, streckten sich aus, um dann mehr oder weniger aufeinander zu liegen. Und Fabians Lippen konnten nicht aufhören, diese warme, rosa Haut zu küssen.
Auch die Liebespaare auf dem Bootssteg küssten sich, da fielen die beiden abseits im Gras liegenden Jungs gar nicht auf. Auch wenn sie sich, anders als die Pärchen, nicht auf die Lippen küssten.
Die "Disco" im Camp spielte nun eine furchtbare alte Schnulze. Und es schoss Fabian durch den Kopf: "Jetzt wird dieser Augenblick für immer mit diesem blöden Lied verbunden sein!"

Es war laut im Bus, als er auf den Highway fuhr. Die Jungs reagierten sich ab, indem sie sich einige Rangeleien auf dem Mittelgang lieferten. Die Mädchen quatschten laut durcheinander und versuchten, sich gegenseitig zu übertönen.
Patrick und Fabian saßen still nebeneinander und hörten mit je einem Ohrhörer Musik aus Fabians kleinem CD-Player. Er spielte seine Lieblings-CD vor, die mit dem abgegriffenen Cover. Es war vielleicht nicht recht Patricks Geschmack, aber er hörte sich tapfer den kraftvollen E-Gitarren-Rock an. Sein Blick ging dabei aus dem Fenster, glitt über die spätsommerlich gelben Felder.
Sie hatten ihre Adressen getauscht. Und als die anderen Jungs nicht hingesehen hatten, haben sie sogar ihre Andenken-Shirts getauscht, die dunkelgrünen Biber-T-Shirts. Patrick war dabei rot geworden, aber er fand die Idee toll. Er verstand nur nicht, warum Fabian ausgerechnet das mit Tsatsiki bekleckerte Shirt haben wollte.
Patrick würde wohl kaum an Fabians Adresse schreiben. Und schon gar nicht anrufen. Genauso wenig wie Jeremy. Da machte sich Fabian keine großen Hoffnungen. Aber er selbst würde sich melden, da war er sich sicher. Er konnte sich nur nicht gewiss sein, ob sich Patrick dann nicht plötzlich dafür schämte, was er und Fabian gemacht hatten.
Eines seiner Lieblingslieder auf der laufenden CD erzählte von vergessener Liebe. Und davon, dass der Sänger das besondere Gefühl dieser Liebe hatte gehen lassen. Und Fabian wusste, was dies bedeuten sollte.

Bald tauchten die Häuser und Gärten seiner kleinen Stadt auf. Und viel zu früh blieb der Bus auf dem Parkplatz vor der kleinen Kirche stehen.
Fabian stand auf und schaute noch einmal auf den rotblonden, sommersprossigen Jungen hinunter. Der lag fast in seinem Sitz, zusammengesunken und lustlos. Türkisgrüne Augen schauten traurig funkelnd auf zu Fabian.
"Mach's gut", sagte Fabian leise.
Patrick nickte nur langsam.
Dann stieg Fabian aus dem Bus und suchte sich seinen Rucksack aus dem Gepäckfach. Die anderen Kinder aus seiner Gegend wurden von ihren Müttern mit Umarmungen begrüßt. Von seiner Mutter war dagegen nichts zu sehen.
"Was soll's", dachte sich Fabian, "geh ich eben zu Fuß nach Hause."
Der Motor des Busses lief wieder an, die Türen schlossen sich zischend und der glänzende Klotz aus Blech und Glas schob sich an der Kirche vorbei, Richtung Großstadt.
Fabian winkte zaghaft hinterher.Fabian schaute ihm nach, bis er in den engen Straßen verschwand. Dann winkte er zaghaft hinterher.
"Na, zurück aus der Wildnis?" fragte eine Stimme hinter ihm.
Fabian drehte sich um.
Niklas stand da, auf sein Fahrrad gestützt, und grinste.
"Oh, Niklas!" sagte Fabian und mit einem Mal stieg das ganze Gefühl in ihm hoch, dass er die Heimfahrt über hinuntergeschluckt hatte. Er nahm seinen blonden Freund in die Arme und drückte ihn an sich, und als er sich mit einem Rundblick vergewissert hatte, dass die fremden Eltern und Kinder längst in ihre Autos gestiegen waren, küsste er Niklas auf die Wange. Und eine Träne rollte über Fabians Gesicht.
"Oh, meine Güte!" sagte Niklas überrumpelt. "Das Camp muss ja FURCHTBAR gewesen sein!"

ENDE

© 2003 by Niklas Edlund

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